zur "Freizeit"
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Kundenmeinung von Melina Riegel
Von der Einleitung an (die eher mit „Freizeit – wie?“ als mit der hier nicht beantworteten Frage „Warum Freizeit?“ zu überschreiben wäre) ist der Text durch methodische Vorsicht geprägt, die an der Schwierigkeit sowohl „Freizeit“ als auch „Freizeitwissenschaft“ klar zu umgrenzen und definitorisch zu fassen keinen Zweifel lässt. Die Bestimmung des Gegenstands erfolgt entsprechend weder durch prämissenhafte Setzungen noch durch archivarische Sammlung bisheriger Forschungsversuche und -ergebnisse, sondern durch Auswahl einzelner, relevant erscheinender Aspekte (hier werden „Zentralität und Aktualität“ [S. 7] als Kriterien angegeben, deren Bestimmung jedoch m. E. partiell ein idem per idem riskiert).
Korrekterweise wird bereits in der Einleitung darauf hingewiesen, dass es vor allem darum gehe, „[i]nsbesondere [...] Studierenden in den verschiedenen Studiengängen des Freizeit-, Kultur- und Tourismusmanagement“ (S.7) eine Einführung zu geben und ihnen „Grundorientierungen“ (ebd.) zu ermöglichen. So lässt sich wahrscheinlich auch rechtfertigen, dass im Laufe der Untersuchung, bei den Definitionsversuchen (Kap. 1), historischen Entwicklungsskizzen (Kap. 2) sowie gesellschaftlichen Betrachtungen (Kap. 3, 4), ökonomische Aspekte der Freizeit (v. a. Kap. 6-8) im Vordergrund stehen, wie auch die Auswahl der Schwerpunkte „Sport“ und „Tourismus“ (Kap. 5) vermuten lässt.
Ob die Verfasser, (habilitierte) Universitätsdozenten im Fachbereich Soziologie/ Politikwissenschaft an der Pädagogischen Hochschule Schwäbisch-Gmünd, dem Phänomen Freizeit mit einer prädominant sozialwissenschaftlichen und Deutschland-fokussierten Betrachtungsweise in seiner Komplexität und Vielfalt gerecht werden, wäre zu diskutieren. Das Risiko jedenfalls – entgegen der anfangs erklärten Absicht der Verfasser – eine Tendenz der als „Freizeitwissenschaft“ titulierbaren Forschung zu zementieren, ist (auch wenn hier ökonomische Bias-Gefahren ungleich stärker reflektiert werden) gegeben.
Es soll jedoch nicht gesagt sein, dass z.B. der Geisteswissenschaftler in "Freizeit" gedanklich nicht fündig würde. Der Ansatz, Freizeit als „‚Produkt‘ individueller Sinnzuschreibung“ zu begreifen, scheint (nicht nur psychologisch, sondern auch) kulturtheoretisch und ggf. philosophisch produktiv. In theoretischer Hinsicht ergiebig und interdisziplinär anschlussfähig wären außerdem die Gedanken zur Trennung gesellschaftlicher Betrachtungsebenen von Freizeit in Mikro-, Meso- und Makroebenen (S. 14-17), zur Kopplung von Freizeit und Konsum (vgl. z.B. S. 23f.), zur Beschreibung und Erklärung differenter sozialer Muster unter Zuhilfenahme von Bourdieus Habitus-Begriff (vgl. Kap. 3).
Insgesamt ist "Freizeit" wenig abstrahierend, vielmehr stehen (Anwendungs-)Beispiele im Vordergrund, Thesen werden zumeist durch Datenmaterial und ausgewählte Statistiken ergänzt. Dass die Erläuterungen der Verfasser weder hinsichtlich der wissenschaftlichen Methodik noch inhaltlich in die Tiefe gehen, ist wahrscheinlich im Sinne laienorientierter Reduziertheit. Immerhin mag die Lektüre von Freizeit die Sensibilität des Lesers für interne Mechanismen und Grenzen eines Marktes und Forschungsfeldes erhöhen, zumal der Blick auf das Problematische an Auftragsstudien gelenkt wird und methodologische Schwierigkeiten nicht ausgeblendet werden.
In diesem Sinne kann "Freizeit" als pragmatisches Manual verstanden werden, das sowohl inhaltlich als auch durch die beigefügte „Service“-Rubrik (S. 81-94), in der Freizeit-affine Studiengänge aufgelistet werden, anwendungsbezogen ist und hervorragend in die UTB-Reihe „Profile“ passt. Wie man es von der Taschenbuchreihe kennt und erwarten mag, ist der Aufbau übersichtlich, jedes Kapitel mit einer bündigen, etwa halbseitigen Zusammenfassung und wenigen, ausgewählten weiterführenden Literaturhinweisen versehen und die Orientierung durch ein Sach- und Personenregister am Ende leicht möglich.
Fazit: Wer sich eine systematische und umfassende Abhandlung zum im Titel proklamierten Thema erhofft, mag enttäuscht sein. Zwar werden unterschiedliche fachwissenschaftliche Zugänge vorgestellt und deren Grundzügen skizziert, am Ende gelingt die Synthese – d.h. der Versuch, eine Freizeitwissenschaft mittels einheitlicher theoretischer Fundierung auf eine die bisherigen Ansätze verbindende, interdisziplinäre Basis zu stellen – jedoch m.E. nicht. Die Reduziertheit von "Freizeit" (über die die Verfasser übrigens nicht hinwegtäuschen) ist vielleicht eine Folge des geringen Publikationsumfangs und mag den Experten stören, dem Pierre Bourdieu oder Wertschöpfungsberechnungen hinreichend bekannt sind. Nichtsdestotrotz bietet die Publikation, die sich vor allem für am deutschen Freizeitwesen interessierte Sozialwissenschaftler mit Schwerpunkt Tourismusforschung eignet, Bologna-tauglich und rezipientenorientiert die Möglichkeit eines ersten thematischen Zugriffs.